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Wenn ich in den letzten zehn
Jahren meiner Arbeit als umherwandelnder Künstler auch nur ein Goldklümpchen Weisheit
erlangt habe, dann ist es die Erkenntnis, dass man, um eine fremde Kultur am besten zu begreifen,
nicht auf die Geschichtsschreibung, Literatur, Bildende Kunst oder
Lehrbücher zurückgreifen muss, sondern vielmehr auf Flohmärkte und
Mülldeponien. Ein Blick auf Deponien und Flohmärkte vermittelt den
besten Einblick in die Glaubenssysteme, Grundannahmen und tatsächlich in
das Unbewusste einer bestimmten Gesellschaft. In jenen beiden
Einrichtungen werden die jeweils am höchsten und niedrigsten bewerteten
Objekte präsentiert, das also, was eine Kultur als ihr Vermögen oder
ihren Abfall betrachtet, und zwar nicht kuratiert von einem Kader
Intellektueller, sondern organisiert von einem interessanten
Bevölkerungsquerschnitt. Während des letzten Jahrzehnts hatte ich die
Möglichkeit, beide Orte unter demselben Blickwinkel meines persönlichen
Interessengebiets zu untersuchen. Dabei handelt es sich um die Kultur
der Natur, d.h. um die jeweilige Bedeutung des Begriffs Natur für eine
bestimmte Gruppe von Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt in der
Geschichte und um die Verkörperung, Repräsentation oder Reproduktion
dieser Bedeutung innerhalb der materiellen Kultur.
Der Dreh- und Angelpunkt des Braunschweiger Projekts (Der Elster
Flohmarkt) ist die vielfältige materielle Kultur der Natur,
zusammengetragen und getauscht auf den außerordentlich gut sortierten
Flohmärkten der Region, aufbewahrt in einem überdimensionalen,
volkstümlichen Architekturmodell auf der Grundlage tatsächlicher Bauten
in Braunschweig.
Während einer kürzlichen Rundreise durch Braunschweig und Umgebung
faszinierte mich ein eigenartiges, unglaublich kleines Antiquariat auf
dem Burgplatz Braunschweigs. Dieses winzige Gebäude, eigentlich der
Anbau eines imposanten Steinbaus, schien zahlreiche Themen zu
artikulieren, die ich hinsichtlich der Verwendung von Architektur als
Lösung für Ausstellungsfragen der Kunst im öffentlichen Raum untersucht
habe. Erwähnenswert ist der Status des Baus selbst im Sinne einer
Vitrine oder eines Schaukastens, in dem ich lange Zeit die Ideallösung
der Verschmelzung von Installation und öffentlicher Kunstpräsentation
gesehen habe. Dies versinnbildlicht auch die historische Tradition der
Torheit als Modell für Kunst im öffentlichen Raum. Mit Torheit meine ich
eine Architektur, die zur Erzeugung von Bedeutung entstand und nicht, um
selbst über einen praktischen Gebrauchswert zu verfügen.
Mein Vorschlag betrifft die Konstruktion einer Torheit auf der Grundlage
jenes winzigen Antiquariats, das wie ein verlassener, verwahrloster
Raritätenladen wirkt. Durch die sorgsame Auswahl von Objekten und ihre
ebenso sorgsame Anordnung wird so ein komplexer Überblick über die sich
wandelnden Einstellungen und Grundannahmen zur Natur in der europäischen
Kultur aufgezeichnet und entschlüsselt.
Die Arbeit betrifft außerdem die Bedeutung jener Aktivität des
Promenierens und Schaufensterbummelns innerhalb der deutschen Kultur.
Aufgrund der in den Vereinigten Staaten festzustellenden Verschiebung
der Geschäftsviertel aus den Ortszentren an die Peripherie sowie
aufgrund der liberaleren Ladenschlußzeiten ist die soziale Aktivität
des Bummelns und Stöberns, des Schauens, ohne zu kaufen, in Amerika
bereits lange ausgestorben. In vielen europäischen Städten allerdings
pflegt man diese Aktivität nach wie vor. Dies eröffnet eine
interessante mögliche Betrachtungssituation, die sich für ein
öffentliches Kunstprojekt vereinnahmen lässt, besonders angesichts der
Tatsache, dass das Phänomen „Shopping“ im Allgemeinen zur dominanten
Freizeitaktivität in westlichen Kulturen geworden ist.
Gefördert von der Stiftung NORD / LB · Öffentliche, Braunschweig
Mit freundlicher Unterstützung von Carl Schumacher GmbH, Wolfenbüttel. |
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